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Antigone verletzt das Recht des Staates, Kreon das der Familie.

Die Antinomie zweier gleichberechtigter Prinzien macht das Wesen der Tragödie aus. 
(G.W.F. Hegel)

 

"Odysseus"- so lautet die mythische Formel abendländischer Individualität. Der sagenhafte Rückweg von Troja nach Ithaka gilt als Paradigma alteuropäischer Selbstdisziplinierung durch Identität. Heimweh ist ihr Antrieb, List und Kalkül ihre logistischen Instrumente. Wohin denkt das alteuropäische Subjekt? Immer nach Hause, immer zurück aus der Fremde. Denn Herkunft ist Zukunft, und Ankommen heißt Zurückkommen, am besten dorthin, wo wir immer schon gewesen sind, also in der Provinz. Doch der Weg nach Ithaka ist kein Triumphzug. Tod, Schmerz und Askese machen den Zivilisationsweg zum Passionsweg. Bittere Opfer säumen die via dolorosa der Fortschrittskarawane.

(Cai Werntgen; Apokalypse Now! Völker im Hyperraum. In: Lettre Heft 55,S. 124)

 

 

"Nachgeben ist schrecklich“1 Antike Texte für leistungsschwache Schüler?

 

Die Einwände gegen den vermehrt zu beobachtenden Ausschluss antiker Literatur aus den (Literatur)Lehrplänen der Fächer, insbesondere in der Sek I, sind mindestens ebenso zahlreich wie die vermeintlichen Gründe dafür. Die Ressourcenknappheit und zwischenstaatliche Konkurrenzsituation der Bildungsabschlüsse schiebt die auch administrativ betriebene "Verschlankung" und Beschleunigung der Bildungsbiographien stetig an; „Abi in 12 Jahren“, Kerncurriculum, Zentralabitur lauten die aktuellen Stichworte.


Im Folgenden werden die Argumente nicht analysiert und nur wenig bewertet. Vielmehr erinnere ich an das hilfreiche einschlägige Methodeninventar der Philosophie- und Deutschdidaktik zur Textarbeit und fordere insbesondere für vermeintlich leistungsschwache Schülergruppen einen handlungsorientierten, projektartig konzipierten Unterricht, dessen Ergebnisse zu verschiedenen und erprobten Publikationsformen zusammengebunden werden sollen. Der Leitapproach meiner Überlegungen: Die Referenztexte der abendländischen Kultur- und Ideengeschichte sind gerade aufgrund ihres unablässig diskutierten Problemreichtums in den Schulen für jeden zu öffnen und zu ansprechenden Lernarrangements aufzubereiten, - und dies ohne Blick auf Leistung, Herkunft und ähnliche Kategorien aller Beteiligten.

Die Unterrichtsszenarien sollen große Gespräche sein, die an den Beunruhigungspotentialen der Texte anknüpfen und diese aushalten. Solch Unterricht scheitert fortwährend, wenn er Beruhigung durch Arbeitsblattabheften anstrebt. Die verheerende Abhakmentalität, die dem Lehrerberuf so gefährlich naheliegt, verlängert sich ungebremst in die Schülersätze "Ach, den 2. Weltkrieg (oder Goethe....) hatten wir schon in der 9."

Also: Gespräche brauchen das Scheitern, ihr einsichtiges Noch-Nicht-Beendet-Sein, um erneut sinnvoll begonnen werden zu können. Jede Rede ist Schweigen (Merleau-Ponty) und mit dem Gesagten steigt die Menge des Noch-Nicht-Gesagten (Heidegger). Dies scheint auf, dem gilt es zu begegnen. Hier entwürfe sich die Lehrkraft als Mitlesende, Mitfragende, als Gesprächspartner. Diese Erfahrung ist für alle Beteiligten apriori eine gute, die Lektüre antiker Texte legitimierende, Erfahrung.

Das größte Hindernis in der Debatte scheint die Hochachtung vor den antiken Texten zu sein, deren Anliegen sich einer kopiervorlagentauglichen Vereinnahmung erfolgreich widersetzen, obwohl die Verlage ein stattliches Angebot an „Stundenblättern“ und „Lektürehilfen“ bereitstellen.

Dennoch: Mit dem ideengeschichtlich grundlegenden, existentiellen Ideeninventar der antiken Texte ist nicht fertigzuwerden. Aus diesem Beunruhigungsgrund werden sie seit ihrer Entstehung von den Bildungseliten rezipiert. Mit der „Vergesamtschulung" der Bildung droht dieses bis in die Nachkriegsgesellschaft in Deutschland obligatorische Lektürekon-tinuum durch die vorschnelle Anbindung der Bildungsdebatte an enge Zweck- und Effizienzkriterien unterbrochen zu werden. Der Lehrer rückt nun oftmals in die letzte Position eines Textdealers, hinter dem sich nur noch die Kulturindustrie quotentauglich der Ideengeschichte annimmt: Deutschland sucht den Superstar, Brad Pit stürmt in Zeitlupe gegen Trojas Mauern....

Als hintergründiger Beleg für meine These vom gewinnbringenden Einsatz antiker Texte in der Schule dient ein konkretes Unterrichtsergebnis, eine Literaturzeitung zu Homers Odyssee (Jg. 10) sowie einige Links zu vergleichbaren Ergebnisformen.

 

Unterrichtsformen. Eine lose Liste.
 

Die nachfolgende Übersicht ist keineswegs vollständig, sondern das Ergebnis eines fünfminütigen Methodenbrainstormings zur Frage nach den verschiedenen Möglichkeiten handlungsorientierter (Text)Unterrichtsarbeit. Die Großdidaktiker versammeln hier weitaus zahlreichere Möglichkeiten kooperativen Lernens, welche durch KIFF´s in die Unterrichtspraxis implementiert werden sollen. Ähnlich dem „Sputnikschock“ in den 60er Jahren reagiert die öffentliche Bildungsdebatte z.Z. auf den „Pisaschock“ mit letztlich behaviouristisch fundierten Lern- und Unterrichtstheorien.Anglizismenreich werden word- und conceptmaps mit placemats zu stets mehrfach abwechselnden Gruppenchoreographien (Appointment , Think-Pair-Share, Name-Day-Aktivity…) und Unterrichtstheorien verbunden, die auch zu respektablen outputs führen, wenn Lerngruppen langfristig mit diesem Unterrichtsformen arbeiten.



Unabhängig persönlicher Vorlieben und Wertsetzungen, ein Leistungspotential ist diesen Arbeitshinweisen nicht abzusprechen. Zumindest kann der Verweis auf einfache und komplexe, immer kooperative Lernstrategien die unterrichtliche Inszenierung antiker Texte erleichtern helfen.

Texterschließungstechniken

Übersetzungsvergleiche (konstituieren Textgrundlage, begründen Lesartenvielfalt, ...)

Figurenpatenschaften (Steckbrief, psych. Gutachten, Erörterung, Collage, ...)

Lesetagebuch (Lit.didaktik Sek I)

szenisches Interpretieren

Textartentransfer (Drama - Prosa)

fiktive Schreibanlässe u. - Textarten

(Intenet)Recherche

Bildanalyse

Problembehandlungsverfahren

Gedankenexperiment

Rollenspiel (Gerichtsszene, Szenenvariation mit zusätzli-cher Figur, Szenenvergleich mit Anouilh, Brecht...)

Standbild

Plastik

Unterrichtsgespräch

Referat

Kreativer Schreibanlass (Tagebuch, Brief, Stellung-nahme…)

Ergebnispräsentation

Literaturzeitung

Powerpoint Präsentation

Tagung

Podiumsdiskussion

Inszenierung

Fotostory

Kinderbuch

Ausstellung (Masken, Standbilder, Theatermodell bauen)

 

1 Sophokles, Antigone. Nach: Progammheft zur Inszenierung der Antigone des Deutschen Theaters Berlin, Spielzeit 2001/2002

 

Antigone. Immer.

Eine Möglichkeit die Unterrichtsarbeit mit dramatischen Texten abzurunden ist seit jeher die Auseinandersetzung mit dem szenisch realisierten Text. In der Regel stehen hier Theaterbesuche an, die zum Teil auch theaterpädagogisch umkleidet werden können, wenn die jeweiligen Schauspielhäuser hier Angebote bereitstellen.

 

 

 

WAZ 29.07.04