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Deutsche - Polen - Juden. Goethes Wilhelm Meister und Karl Emil Franzos´Pojaz. Zwei Bildungsromane im Vergleich.

 

 

 

Vor dem Hintergrund des jahrhundertelang fortgeschriebenen Ausgrenzungsdiskurses der Polen in Deutschland, der bekanntlich zum 6millionenfachen Mord polnischer Menschen führte und der nach wie vor bestehenden Ressentiments und Berührungsängste mit unserem östlichen Nachbarn, kann ein literarischer Blick auf die kulturspezischen Differenzen in den zwei formidentischen Bildungsromanen wechselseitiges und eigenes Verstehen anleiten und schärfen.

 

Karl Emil Franzos´ 1905 erschienener Roman wurde und wird kaum rezipiert, obwohl der Autor durch Reisebeschreibungen und den Roman zu beachtlicher Popularität gelangte. Die Vorlagehaftigkeit des "Wilhelm Meister" für seinen im polnisch-jüdischen Milieu angesiedelten Roman hat er wiederholt unterstrichen. Die untergangene Welt des polnischen Judentums, der Stetl, fängt Franzos fast beiläufig und atmosphärisch dicht in der Beschreibung seines "Helden" Sender Glatteis ein. Mit der Schilderung seines Bildungsweges, vom Halbwaisen, bei einer armen, im ostgalizischen Barnow beheimateten Pflegemutter aufwachsenden Analphabeten bis zum literarisch in einem christlichen Kloster vorgebildeten, Theaterfan und Schauspielbesucher im damals großstädtischen und unerreichbar scheinenden Lemberg, führt Franzos in das multikulturelle und -religiöse Nebeneinander Galiziens ein. Das Gemenge von fremden Kulturen und religiösen Bräuchen tritt den LeserInnen humoristisch grundiert und nuanciert bebildert vor Augen.

Richard Chaim Schneider erinnerte am 24.1.04 in DIE WELT an den einhundertsten Todestag von K.E. Franzos mit einem klugen Text über Autor und Werk.